Wirft im Saisonabschluss-Interview einen Blick zurück auf die Spielzeit 2021/22: Eintracht-Sportdirektor Michael Stock (rechts), hier mit Trainer Stefan Neff.

Michael Stock: "Die Mannschaft ist sowas von pflegeleicht"

Das Eintracht-Interview der Woche kommt ausnahmsweise etwas ausführlicher daher - das freilich aus gutem Grund. Sportdirektor Michael Stock zieht im Gespräch zum einen ein Fazit der abgelaufenen Saison, blickt aber im zweiten Teil des Interviews, das am Donnerstag erscheint, auch auf die neue Spielzeit und noch weiter voraus.

Michael, wenn Du mit Blick auf die zurückliegende Saison eine Top 3 erstellen müsstest aus Personen, Emotionen, Momenten, Spielen etc., an die Du Dich besonders erinnerst - wie sähe diese Rangliste aus?

Michael Stock: "Zu den Top 3 gehörten - leider negativ - zwei Situationen, die ich zusammenfassen möchte, in denen ich wirklich fassungslos war und wo ich auch jetzt noch merke, dass mich das mitnimmt. Da war zum einen die Info, als Dr. Queckenstedt Fynn Holpert und mich angerufen hat und uns mitteilte, dass er nicht davon ausgehen würde, dass Carsten Ridder noch einmal ein Handballspiel absolvieren kann aufgrund seiner Rückenproblematik. In der Saison gab es dann eine vergleichbare Situation, als sich Julian Renninger beim Spiel in Hamm verletzt hat. Die Stimmung in der Kabine war damals gespenstisch, obwohl wir zum ersten Mal in Hamm gewonnen hatten. Das war unvorstellbar..."

...aber es gab doch bestimmt auch positive Momente, die nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben?

Michael Stock: "Natürlich. Ein absolutes Highlight in der Saison war das Heimspiel gegen den VfL Gummersbach. Ausverkaufte Halle und die überragende Leistung der Mannschaft mit Tobi Mahncke vorneweg, das kann man sich nicht ausdenken, so perfekt war das. An diesem Abend hat man gesehen, was in Hagen möglich ist mit Handball. Die Stimmung war einfach unglaublich."

...fehlt noch Platz drei in der Rangliste...

Michael Stock: "Ich habe wirklich lange überlegt, weil es so viele Punkte gab, die ich hätte nennen können. Aber ich habe mich für das 'Last-Second-Tor' in Lingen entschieden, als Tilman Pröhl, unser technisch versiertester Spieler, das Ding aus der schnellen Mitte zum Sieg ins Tor geworfen hat. Das war, als wäre in der Halle ein Stecker gezogen worden. Es war komplett still und hat mich daran erinnert, als wir zu Hause gegen den TV Großwallstadt oder den TV Emsdetten in einer ähnlichen Situation waren. In Lingen war ich auch völlig fassungslos, dass wir noch gewonnen haben. Das hat sich eingebrannt." 

...und was waren die schwierigsten Situationen bzw. die größten Herausforderungen?

Michael Stock: "Das hängt zusammen mit den oben angesprochenen Ausfällen, als wir Mitte Juni auf den Ausfall von Carsten Ridder reagieren mussten. Ich glaube, da haben wir als Club alles richtig gemacht und mit Pouya Norouzi die perfekte Lösung gefunden. So schlimm die Verletzung für Carsten war, so gut war die Art und Weise, wie wir das kompensiert haben. Schwierig war außerdem natürlich die Phase, als wir aufgrund der Verletzungssituation acht Mal hintereinander verloren haben. In dieser Zeit mussten Trainer und Mannschaft natürlich unterstützt werden darin, den Glauben zu behalten. Im Club musste es ruhig bleiben, damit Trainer und Mannschaft in Ruhe weiterarbeiten konnten. Das hat Kraft gekostet, allerdings muss ich auch sagen, dass alle Beteiligten das perfekt umgesetzt haben, so dass es rückblickend gar nicht so schlimm war. Aber es gab Situationen, in denen wir alle angefasst waren, weil es eben nicht gut war. Wir haben nie gezweifelt, aber der eine musste den anderen auch mal stützen. Gerade in solchen Phasen zeigt sich, ob man eine Einheit ist. Oder eben nicht."

...zumal die Mannschaft nach der überragenden Hinrunde ja von einem sehr hohen Level kam...

Michael Stock: "Das ist absolut richtig. Man sieht heute zum Teil noch, dass die Erwartungshaltung an uns plötzlich eine ganz andere war. Aber wir wissen ja, woran es gelegen hat. Wir haben nie gejammert, sondern immer wieder gebastelt, immer wieder nach Lösungen gesucht. Und ich musste doch keinem erklären, was es bedeutet, wenn man plötzlich keinen Mittelmann mehr hat. Oder wenn man nur noch einen 'halben' Kreisläufer hat. Das machte natürlich auch im Training etwas mit der Mannschaft, wenn Leute wie Valentin Schmidt, Julian Renninger oder Alexander Becker plötzlich langfristig nicht zur Verfügung standen. Das sind Führungsspieler, die Struktur geben. Und die waren plötzlich nicht mehr da."

Die Corona-Pandemie taucht noch gar nicht auf in Deinen Nennungen.

Michael Stock: "Ein ganz wichtiger Punkt. Es war extrem schwierig, die richtigen Entscheidungen mit Blick auf die Gesundheit der Spieler zu treffen. Wir standen immer wieder vor der Herausforderung, dass ein Spieler Schnupfen hatte, aber negativ getestet war. Lässt Du den jetzt mittrainieren oder nicht? Mittlerweise wissen wir, dass man schon einige Tage vorher ansteckend ist, so dass wir immer wieder fragen mussten, ob das nun Corona sein konnte oder nicht. Und ob wir den Spieler trainieren lassen oder mit zum Spiel nehmen. Ich bin froh und dankbar, dass wir gemeinschaftlich immer zu der Entscheidung gekommen sind, dass die Gesundheit der Spieler vorgeht. Von dem Credo sind wir nie abgewichen, und dann haben wir eben auch mal auf Spieler verzichtet, wo sich in Nachhinein herausgestellt hat, dass sie nicht an Corona erkrankt waren. Das gilt im übrigen auch für Verletzungssituationen. Wir werden unsere Spieler immer so lange auskurieren lassen, bis sie 100-prozentig einsatzfähig sind."

Das waren aber Herausforderungen, die für mehr als eine Saison reichen...

Michael Stock: "Der Umkehrschluss ist aber auch, dass es wenige oder eigentich gar keine anderen Krisensituationen gab. Innerhalb einer Mannschaft hat man ja oft Mechanismen, die nicht funktionieren. Das hatten wir gar nicht. Ich kann der Mannschaft nur attestieren, dass sie sowas von pflegeleicht und in sich gefestigt war und ist, dass ich eben nur diese Themen nennen kann, die von außen kamen. Ansonsten erinnere ich mich nur an ganz, ganz viele positive Situationen."  

Michael Stock, vielen Dank für den ersten Teil des Gesprächs. Morgen mehr an dieser Stelle...